24. September 2021
Sehr geehrte Teilnehmerin, sehr geehrter Teilnehmer der Aktion „diesel-klage.at“
Betreff: Aktuelle Info zu EuGH/Generalanwalt
Betrifft: Konsumenten und Unternehmen
Wie Sie den Medien entnommen haben, hat sich der Generalanwalt des EuGH sehr kritisch zu Umgebungs-bedingten Abschalt-Softwareroutinen in den Motorensteuerung geäußert. Hier geht es um das so genannte „Thermofenster“, das die zentrale Fragestellung im Fall VW bildet: Darunter versteht man den Vorgang, dass der Motor nur zB. in einem gewissen (schmalen) Umgebungs-Temperaturbereich die Abgasreinigung aktiviert, sonst die Abgasreinigung aber stets ausgeschaltet wird, angeblich, um den „Motor zu schonen“. Im Endeffekt läuft dies darauf hinaus, dass Fahrzeuge nur unter sehr günstigen Bedingungen die geforderten Abgas-Normen (möglicherweise) erfüllen, die meiste Zeit des Jahres dies aber nicht tun. Dies ist der Kern der Vorwürfe gegen die Autohersteller, da diese den Kunden versprochen haben, dass das Auto stets Umwelt-konform betrieben werden kann, dies aber in Wahrheit die meiste Zeit im Jahr gar nicht der Fall ist (= die in der Abgas-Affäre den Autobauern vorgeworfene Täuschung der Kunden).
Dieser Fall wurde dem EuGH vorgelegt.
Der EuGH-Generalanwalt hat nun die Meinung vertreten, dass dieses sprichwörtliche „Gewurschtel“ mit der Abschaltung der Abgas-Reinigung unzulässig ist und in Wahrheit nur verschleiert, dass die Kfz unterm Strich die geforderten Abgas-Normen nicht erfüllen.
Nun muss noch der EuGH als Gerichtshof seine Entscheidung fällen. In zwei von drei Fällen folgte statistisch der Gerichtshof der Meinung des Generalanwalts, der Fälle für das Gericht aufzubereiten und vorzutragen hat, ehe dieses seine hoheitliche Entscheidung als Gremium fällt.
Anbei finden Sie von Rechtsanwalt Dr. Alexander Amann eine kurze anwaltliche Abhandlung zur rechtlichen Interpretation der bisherigen Entwicklungen sowie dieses jüngsten wichtigen Verfahrensschritts vor dem EuGH auf Basis der Pressemitteilung des EuGH, die hier heruntergeladen werden kann: https://curia.europa.eu/jcms/upload/docs/application/pdf/2021-09/cp210162de.pdf
In der Zusammenfassung bestätigt der EuGH-Generalanwalt daher die Sicht der Rechtsanwälte der Aktion „diesel-klage.at“, dass der VW-Konzern seine Kunden bzgl. Abgasnormen getäuscht hat.
Das EuGH-Urteil vom 12.12.2020 zu C-693/18, enthielt bereits u.a. folgende Klarstellungen zur Auslegung der VO 715/2007/EG:
- Da eine in den Rechner zur Motorsteuerung integrierte Software auf die Funktion des Emissionskontrollsystems einwirkt und dessen Wirksamkeit verringert, handelt es sich dabei um ein „Konstruktionsteil“ im Sinne der VO 715/2007/EG. (Rz. 68)
- Sowohl die Technologien als auch die Strategie, mit denen die Emissionen im Nachhinein, d.h. nach ihrer Entstehung, verringert werden, als auch diejenigen, mit denen – wie mit dem AGR-System – die Emissionen im Vorhinein, d.h. bei ihrer Entstehung, verringert werden, fallen unter den Begriff „Emissions-kontrollsystem“. (Rz. 90)
- Eine Software, die wie die (Anm.: auch im gegenständlichen Verfahren) in Rede stehende Software die Höhe der Fahrzeugemissionen nach Massgabe der von ihr erkannten Fahrbedingungen modifiziert und die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte nur unter Bedingungen gewährleistet, die den für die Zulassungsverfahren geltenden Bedingungen entsprechen, stellt eine Abschalteinrichtung i.S.d. VO 715/2007/EG dar. Dies gilt selbst dann, wenn die Verbesserung der Leistung des Emissionskontrollsystems punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs beobachtet werden kann. Die Tatsache, dass die normalen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge ausnahmsweise den für die Zulassungsverfahren geltenden Fahrbedingungen entsprechen und punktuell die Leistung der fraglichen Einrichtung verbessern können, wirkt sich auf diese Auslegung nicht aus, denn unter den normalen Nutzungsbedingungen der Fahrzeuge wird das Ziel, die NOx-Emissionen zu verringern, für gewöhnlich nicht erreicht. (Rz. 99 ff.)
- Art. 3 Nr. 10 der VO Nr. 715/2007 ist dahin auszulegen, dass eine Einrichtung, die jeden Parameter im Zusammenhang mit dem Ablauf der in der Verordnung vorgesehenen Zulassungsverfahren erkennt, um die Leistung des Emissionskontrollsystems bei diesen Verfahren zu verbessern und so die Zulassung des Fahrzeugs zu erreichen, eine „Abschalteinrichtung“ im Sinne dieser Bestimmung darstellt, selbst wenn eine solche Verbesserung punktuell auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs beobachtet werden kann. (Rz. 102)
- Die Verschmutzung und der Verschleiss des Motors können nicht als „Beschädigung“ oder „Unfall“ im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der VO 715/2007/EG angesehen werden, da sie im Prinzip vorhersehbar und der normalen Funktionsweise des Fahrzeugs inhärent sind. (Rz. 110) Diese Auslegung wird durch den Kontext von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der VO 715/2007/ bestätigt, der eine Ausnahme vom Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen enthält, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, sowie durch das mit der Verordnung verfolgte Ziel. Jede Ausnahme ist nämlich eng auszulegen, unter Wahrung ihrer praktischen Wirksamkeit und unter Beachtung ihrer Zielsetzung. (Rz. 111) Eine solche Auslegung wird auch durch das mit der VO 715/2007/EG verfolgte Ziel bestätigt, das darin besteht, in der Union die Umwelt zu schützen und die Luftqualität zu verbessern; dies impliziert eine wirksame Verringerung der NOx-Emissionen während der gesamten normalen Lebensdauer der Fahrzeuge. Das Verbot, auf das sich Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der VO 715/2007/EG bezieht, würde ausgehöhlt und jeder praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn es zulässig wäre, dass die Hersteller Fahrzeuge allein deshalb mit solchen Abschalteinrichtungen ausstatten, um den Motor vor Verschmutzung und Verschleiss zu schützen. (Rz. 113) Infolgedessen sind nur unmittelbare Beschädigungsrisiken, die zu einer konkreten Gefahr während des Betriebs des Fahrzeugs führen, geeignet, die Nutzung einer Abschalteinrichtung zu rechtfertigen. (Rz. 114)
- Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der VO 715/2007/EG ist dahin auszulegen, dass eine Abschalteinrichtung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die bei Zulassungsverfahren systematisch die Leistung des Systems zur Kontrolle der Emissionen von Fahrzeugen verbessert, damit die in der Verordnung festgelegten Emissionsgrenzwerte eingehalten werden und so die Zulassung dieser Fahrzeuge erreicht wird, nicht unter die in dieser Bestimmung, die den Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs betrifft, vorgesehene Ausnahme vom Verbot solcher Einrichtungen fallen kann, selbst wenn die Einrichtung dazu beiträgt, den Verschleiss oder die Verschmutzung des Motors zu verhindern. (Rz. 115)
Die beiliegende Pressemitteilung betrifft nunmehr drei weitere EuGH-Verfahren mit Bezug zum Software-Update des EA189, mit welchem ein (unzulässiges) Thermofenster implementiert wird. Die Ergebnisse des EuGH-Generalanwalts sind einmal mehr (und von vornherein absehbar) vollkommen eindeutig:
- Eine Software, mit der die Abgasrückführungsrate des AGR-Systems bei Temperaturen unter +15°C und über + 33°C (die Temperatur im NEFZ liegt zwischen +15°C bis + 33°C) sowie in Höhen von mehr als 1000 Metern bis auf null reduziert wird (Thermofenster), ist eine Abschalteinrichtung im Sinne der VO 715/2007/EG.
- Eine solche Abschalteinrichtung, die vornehmlich der Schonung von Anbauteilen wie AGR-Ventil, AGR-Kühler und Dieselpartikelfilter dient, fällt nicht unter die Verbotsausnahme des Art. 5 Abs. 2 Buchst. a der VO 715/2007/EG, da das Funktionieren dieser Teile nicht den Schutz des Motors berühre.
Die Durchschnittstemperatur erreicht in Österreich zB im letzten Jahr (https://de.statista.com/statistik/daten/studie/973219/umfrage/temperatur-in-oesterreich-nach-monaten/) nur in drei Monaten Werte über +15°C (nämlich von Juni-August), sodass die Abgasreinigung im ganz überwiegenden Teil des Jahres nicht bzw. nicht vollständig funktioniert und daher auch im ganz überwiegenden Teil des Jahres auch die Emissionsgrenzwerte im normalen Fahrbetrieb nicht eingehalten werden.
Unser Ergebnis und Verständnis aus diesen EuGH-Verfahren ist somit, dass die Typengenehmigungen der betroffenen Fahrzeuge mit EA189-Motor nach wie vor nicht der VO 715/2007/EG entsprechen und daher rechtswidrig sind. In Folge dessen sind die betroffenen Fahrzeuge nach wie vor nicht zulassungsfähig.
- Dr. Alexander Amann